15.06.2016

Tillmann Hahn macht Appetit auf Kunst

Porträt Tillmann Hahn.
Sternekoch Tillmann Hahn

Kochen, essen und genießen sind für Sternekoch Tillmann Hahn nur einige Zutaten der kulturellen Identität. Die Gäste seiner Kultur:Küche erleben in der Villa Astoria in Kühlungsborn regelmäßig, wie die Tischkultur Menschen zusammenbringt. Die besondere Würze der Kultur:Küche finden Gäste aber nicht nur im Essen, sondern vor allem beim Zusammentreffen mit Kulturschaffenden, Handwerkern und Gastgebern. Heraus kommen gesellige, inspirierende Abende, die alle Sinne ansprechen.  Im Gespräch erklärt Tillmann Hahn, wie die Kultur:Küche in der Villa Astoria noch unbekannte Künstler unterstützt, ältere Menschen aus der Einsamkeit holen kann und warum er als Sternekoch diese Abende so sehr schätzt.

Was waren Ihre Beweggründe, die Kultur:Küche ins Leben zu rufen?


Tillmann Hahn: Ich sehe mich als Spielstättenbetreiber, Koch und Kulturschaffender in der Pflicht etwas für diesen gesellschaftlichen Bereich zu tun, denn es findet zum einen eine Kommerzialisierung statt, die bekannten Größen und etablierten Veranstaltern zupass kommt und kleine Künstler und Newcomer fast verhungern lässt. Zu anderen sehe wir Kulturtechniken verloren gehen und innerhalb weniger Generationen ein über Jahrtausende entwickeltes Wissen einfach vergessen wird oder nur noch museal erfahrbar wird. Das gilt es zu verhindern im Interesse der Gemeinschaft von Menschen in einer globalisieren Welt, wo Grenzen verschwimmen und das Konzept von Nationalstaaten immer weniger überzeugt.


Wie darf man sich einen Abend in der Kultur:Küche vorstellen? Sind Sie immer mit von der Partie?


Ich bin immer gerne mit dabei bei allen Veranstaltungen und unterstütze auch heute beispielsweise immer noch die Kochsessions meiner Slow Food Gruppe für unsere kulinarischen Kinoabende. Die Federführung und Planung haben hier schon lange andere Netzwerker übernommen, aber ich bin nach Zeit und Kräften immer gerne dabei. So ähnlich wird es auch bei der Kultur:Küche sein. Ich möchte initiieren, auch mitmachen, aber nicht dauerhaft den Motivator spielen. Wir müssen lernen auch wieder loszulassen und auch als Mitmacher zum Vormacher zu wachsen.

 

Die Küche der Villa Astoria bietet täglich neue Spezialitätengerichte aus Ihrer Hand. Inwiefern trägt auch die Kultur:Küche die Handschrift von Tillmann Hahn?


Als Initiator einer Idee prägt man zunächst automatisch die Umsetzung dieser Idee, zumindest anfänglich. Mein Wunsch ist es aber nicht nur meine Vorstellungen umzusetzen, sondern ein Netzwerk in Gang zu bringen, welches eine eigene Dynamik entwickelt und viele Kulturschaffende, Handwerker und Gastgeber zusammen bringt als Partner die sich gegenseitig austauschen und kooperieren anstatt immer nur zu konkurrieren. Ich denke dass in einer Zeit in der immer mehr die Grenzen des Wachstums ins Blickfeld rücken und Alternativen gesucht werden zum etablierten Wettbewerbsprinzip, kann es nur richtig sein sich selbst auch die Freude zu gönnen ein Partner und Freund zu sein für andere die ähnlich ticken und etwas Nachhaltiges im Sinne der Gesellschaft erreichen wollen.

 

Die Gesellschaft Kultur:Küche hat sich auf die Schürze geschrieben, das Generationen übergreifende Zusammenleben zu fördern. Welche Werte vermittelt sie?

Es gibt in der modernen Gesellschaft trotz unseres allgemeinen Wohlstandes das traurige Phänomen der Verarmung im Alter, aber auch die Vereinsamung im Alter, da es in den ländlichen Räumen die Abwanderungen der Jungen und sinkende Bevölkerungszahlen in den Dörfern mit allem was damit einhergeht gibt: Dorfläden und Landärzte verschwinden, Gemeindeangebote, Büchereien, Postagenturen, Bankfilialen und Ämter werden immer mehr zentralisiert. Die Orte an denen eine Generationen übergreifendes Zusammentreffen auf regelmäßiger, täglicher Basis stattfindet werden weniger. Dadurch dass auch der ÖPNV weniger wird, werden alte Menschen in diesen Gegenden regelrecht von der gesellschaftlichen Teilnahme ausgegrenzt. In den Städten steigen die Mieten schneller als die Renten und auch hier wird immer mehr zentralisiert und arrondiert. Wir wollen durch die Idee das Wissen und die Erfahrungen der Alten zu erhalten in dem man sie im Sinne des Generationen übergreifenden, lebenslangen Lernens mit den Jungen wieder zusammen bringt. Ziel ist es auf den Gebieten des gesellschaftlichen Zusammenlebens, der Kulturtechniken wie Speisenzubereitung und Tischkultur, Haltbarmachen und Fermentieren von Lebensmitteln aus der Landwirtschaft, land- und hauswirtschaftliche Techniken überhaupt, Hausmusik, Handarbeit, Laienschauspiel, Geschichtenerzählen und dergleichen mehr den dauerhaften Verlust dieses Wissens zu verhindern. Junge sollen erkennen können dass Alte nicht nur „alt und schwach“ sondern vor allem auch lebenserfahren, voll von wertvollem Wissen und Weisheit sind. Alte sollen erkennen dass Junge sich in der schnelllebigen digitalen Zeit dennoch für Handgemachtes und Traditionen interessieren, wenn man Ihnen zeigt wo diese zu entdecken sind. Konkrete Werte auf die wir bauen wollen sind: Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Nachhaltigkeit und Respekt, Offenheit und Toleranz, Intergration und Diversifikation.  


Bisher kocht die Kultur:Küche ihr „Süppchen“ in ihrem Gasthaus und Feinkost-Bistro in der Villa Astoria in Kühlungsborn. Planen Sie, die Veranstaltung auch an anderen Orten anzubieten?

Das Netzwerk Kultur:Küche möchte auf gemeinnütziger Basis agieren ohne einzelne Künstler und Kulturschaffende oder Spielstätten und Küchenbetreiber zu bevorteilen. Daher ist es unbedingt erforderlich an so vielen Stellen mit so vielen Akteuren wie möglich zu arbeiten, um unser Ziel zu verwirklichen. Der Anfang ist gemacht mit ersten Veranstaltungen in der Villa Astoria in Kühlungsborn und dem dortigen Kulturgasthaus, welches meine Betriebs GmbH betreibt. Alle die bisher dort durchgeführten Konzerte und Kunstaktionen sind öffentlich zugänglich und es werden keine Eintrittsgelder erhoben. Ich halte das für sehr wichtig um weitere Beteiligung zu stimulieren.

Ein Raum voller Menschen. Sie sitzen an Tischen.

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