In Lüchow werden Träume wahr
Es war einmal ein Dorf, das lag so einsam und verlassen am Rande der Mecklenburgischen Schweiz, dass es wohl fast vom Erdboden verschwunden wäre, wenn nicht… Ja wenn nicht eines Tages Menschen hier vorbeigekommen wären, die sich nach einem anderen Leben sehnten. Nach einem Leben fernab von Großstadtstress und Shopping-Meilen.
Einer von ihnen war Johannes Liess. Der Architekt kannte Lüchow aus Kindertagen. Stammte doch seine Mutter aus der Region. Als ein Stall zum Kauf angeboten wird, entschließt er sich mit seinen Geschwistern, das Gebäude wieder flott zu machen.
2003 wohnen in Lüchow gerade mal fünf Rentner. Noch kann sich Johannes Liess nicht vorstellen, in dieser Einsamkeit für immer zu leben. Doch als er mit seiner Frau und den beiden Kindern einen Winter lang in Lüchow verbringt, packt sie die Lust auf das Landleben. Der Drang wächst, etwas aus dem sterbenden Dorf zu machen. Einem Ort, der schon im 12. Jahrhundert in den Urkunden erwähnt wird. Damals tankten Reisende, die auf der Via Regia, der alten Königsstraße unterwegs waren, in einer gewissen Tabern
Abenteuer Dorfrettung
Auftanken möchte auch Johannes Liess. Mit Kind und Kegel zieht er nach Lüchow. Gemeinsam mit Gleichgesinnten, beginnt er, in dieser Landschaft aus grünen Hügeln, Feldern und Wäldern eine kleine Oase zu schaffen. Mithilfe von Handwerkern aus der Region sanieren und bauen, investieren und schaffen sie mit einem Ensemble aus Werkstatt, Garten und Dorfhaus ein soziales und kulturelles Zentrum im Ort. Zudem entstehen Wohnhäuser in ökologischer Bauweise, deren pastellfarbene Fassaden dem Dorf ein freundliches Gesicht geben. Es dauert nicht lange, bis sich das Projekt herumgesprochen hat. Zuzügler aus ganz Deutschland, aus Mecklenburg und den Nachbardörfern lassen sich in Lüchow nieder. Sie alle wollen frei und ungebunden leben und sich doch in einer Gemeinschaft aufgehoben fühlen. Lüchow soll ein Dorf für alle sein, „die versuchen, ihre Träume zu leben“, schreibt Johannes Liess in seinem 300 Seiten dicken Werk, indem der das Abenteuer Dorfrettung aufzeichnet.
Inzwischen besitzt Lüchow 50 Einwohner. Davon die Hälfte Kinder. In der Dorfküche wird jeden Mittag für die Waldorf-Kindergartenkinder frisch gekocht. Auch die Dorfbewohner können sich anmelden und auf eine Verschnaufpause reinschauen. Nachbarschaftshilfe wird Groß geschrieben. Und Kultur erst recht. „Wenn wir schon auf dem Land leben, fernab von Kino, Konzerten und Theater, machen wir eben unsere eigenen Events“, sagt Ernestine Feustel-Liess, die dem Vorstand des Vereins „Das lebendige Dorf“ angehört. „In Lüchow leben Menschen, die auf einer Wellenlänge liegen. Jeder hat sein eigenes Haus, kann seine Tür zu machen, die Ruhe genießen und sich so frei wie möglich fühlen. Und doch sind wir einander zugewandt und stellen regelmäßig Kino, Kneipen- und Tanzabende auf die Beine. Auch spontane Veranstaltungen, wie Kochen übern Tellerrand, gemeinsam mit Flüchtlingen gehören dazu.“
Weit in die Region strahlt das Kulturcafé aus
Obwohl Lüchow so klein ist, können die Einwohner ihre Freizeit mit Filzkursen, Harfenunterricht oder Trommelkursen bereichern. Es gibt ein Mehrgenerationen-Wohnhaus, in dem ältere Menschen sowie Familien mit Kindern leben. Gemeinsam tummelt man sich im Mehrgenerationen-Garten oder hält mit Nachbars ein Pläuschchen. Derzeit setzten die Lüchower alles daran, eine Waldorfschule im Dorf zu verankern. Damit die vielen Kinder aus Lüchow und dem Umland nicht stundenlang durch die Weltgeschichte kutschiert werden müssen.
Weit in die Region strahlt das Kulturcafé aus, zu dem die Lüchower jeden ersten Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr einladen. Sogar aus Greifswald kommen Besucher, um bei frisch gebackenem Kuchen und lockerer Atmosphäre niveauvolle Konzerte zu genießen. Während die Großen lauschen, spielen die Kleinen im Freien. Einsamkeit kennen die Lüchower nicht.
Es war einmal ein Dorf, das lag so verlassen in der Mecklenburgischen Schweiz… Bis ein paar Menschen kamen, die begannen, ihre Träume wahr werden zu lassen. Und wenn die an ihren Idealen festhalten und so weitermachen wie bisher, dann werden sie noch lange glücklich und zufrieden in Lüchow leben.
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