Stadt der Buchbinderinnen
Aller guten Dinge sind drei. Diese Redensart ist wahrscheinlich genauso alt wie das Handwerk, das die drei Schwerinerinnen Kathleen Peter-Kolbe, Silvia Pohle und Ute Gottfried ausüben. Ein Handwerk, das auf der Roten Liste aussterbender Berufe steht. In den letzten Jahren haben sich Buchbinder verabschiedet wie fliehende Seiten von einem Buch. In Mecklenburg-Vorpommern soll gerade noch eine Handvoll traditionelle Betriebe existieren.
Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass in Schwerin gleich drei Buchbinderinnen eine eigene Werkstatt betreiben. Drei, die sich gegenseitig respektieren und austauschen, ganz ohne Konkurrenzgehabe. Wobei die Betonung auf Buchbinderinnen liegt. Auch das ist ungewöhnlich. Denn lange Zeit war dieses Handwerk eine reine Männerdomäne. Das hatte seinen Grund: Ein Buchbinder muss viel stehen, schwere Lasten tragen. Und reich wurde und wird „Mann“ mit dieser Arbeit auch nicht. So mancher traditionelle Buchbinder würde sich sicher gerne eine Gelddruckmaschine in seine Werkstatt stellen.
All das hat die Schwerinerinnen nicht davon abgehalten, ihren Fuß in diese Branche zu setzen. Kathleen Peter-Kolbe wurde von ihrem Vater und Großvater inspiriert. Anfang des Jahres übernahm die Buchbindemeisterin den 1955 gegründeten Familienbetrieb und führt ihn nun in dritter Generation weiter.
Silvia Pohle wählte den Beruf dagegen aus Mangel an Alternativen. „In meiner Heimatstadt Bützow gab es nicht viele Möglichkeiten“, erzählt sie. Sollte ich zu den Möbelwerken gehen? Das machten schon alle anderen. Oder in die Vollzugsanstalt?“ Sie entscheidet sich gegen den Knast und beginnt eine Lehre in einer kleinen Buchbinderei. Die nötigen Voraussetzungen bringt sie mit: Geduld und Konzentrationsfähigkeit, Freude an Farben und Papier, mathematisches Verständnis und vernünftige Deutschkenntnisse. Und - wohl eines der wichtigsten Dinge, um diesen Beruf ausüben zu können - sie liebt Bücher.
Reine Handarbeit
Im Jahr 1978 klopft die junge Gesellin an die Werkstatt des Schweriner Buchbindemeisters Günther Buckentin. Bis zur Wende 1989 ist Silvia Pohle noch von mehreren Kollegen umringt. „Danach“, erinnert sie sich, „gingen die recht zügig in Rente und 2010 war ich dann ganz alleine.“ Mit den alten, teilweise mehr als 100 Jahre alten handbetriebenen Maschinen ihres ehemaligen Meisters wagt sie den Schritt in die Selbständigkeit. Und bereut es nicht: Die Arbeit macht ihr auch als Ein-Frau-Unternehmen Spaß.
Zwar ächzt nach einem Arbeitstag, den Silvia Pohle gebeugt an der Werkbank verbracht hat, der Rücken, schmerzen die Knie. Doch vergessen sind alle Wehwehchen am nächsten Tag, sobald Kundschaft hereinspaziert. Da steht der Großvater vor ihr, der seine Memoiren als hochwertiges Einzelexemplar den Enkelkindern vermachen möchte. Jemand will Omas zerfleddertes Rezeptbuch wieder in Ordnung bringen, um ihr eine Freude zu bereiten.
Gebundene Erinnerungen
„Viele kommen mit alten Büchern, die von Generation zu Generation weitergegeben werden oder mit ehemals geliebten Kinderbüchlein“, erzählt Silvia Pohle. „Ich mag diese Abwechslung - hier eine Doktorarbeit, Hochzeitszeitung, Chronik, Speisekarte, dort eine selbst verfasste Biographie, Abi-Zeitung oder ein Kalender. Ich habe viele Freiheiten und kann eigene Ideen in die Arbeit mit einfließen lassen.“
Weil solche Einzelaufträge jedoch nicht das sind, womit sich eine Buchbinderin über Wasser halten kann, widmet sie einen Großteil ihrer Arbeitszeit jenen Kleinauflagen, die von Bibliotheken, Universitäten und Behörden kommen. Wobei sie in letzter Zeit feststellt, dass die Behörden seltener auf der Matte stehen. „Die Digitalisierung hinterlässt unaufhaltsam ihre Spuren in unserer Branche.
Dass ihr Beruf gänzlich aussterben wird, glaubt die Schwerinerin nicht. Zum einen, weil jedes Jahr unzählige Bücher auf dem Markt erscheinen und zum anderen, weil nichts über das sinnliche Erlebnis gehe, ein Buch anzufassen, es zu riechen, darin rumzublättern oder Eselsohren hinein zu machen.
Text und Fotos: Anja Bölck