Alle Musikerinnen und Musiker haben an ihren Instrumenten Platz genommen. Links, auf einem Podest, sitzt Generalmusikdirektor Mark Rohde mit einem Taktstock in der Hand auf einem Hocker und gibt den Ton an. Das Orchester sitzt in einem Halbkreis vor ihm und spielt.
Die Staatskapelle probt mehrmals pro Woche im Marstall. „Hier finden alle Konzertproben und die Opernproben ohne Bühnengeschehen statt“, sagt Orchesterdirektorin Gesa Johanns. Die Staatskapelle, deren Geburtsstunde 1563 schlug, ist das drittälteste Orchester Deutschlands.
13.09.2022

Mehr Raum für Musik 

Die Mecklenburgische Staatskapelle hat einen neuen Raum für ihre Proben. Die Instrumente des Orchesters erklingen nun in der ehemaligen Reithalle des Marstalls. Einem historischen Ort, der nicht zum ersten Mal vom Theater genutzt wird. Ein Blick in die Geschichte des Schweriner Marstalls und den neuen Probenraum: 

Vier Streicher stehen an ihren mannshohen Instrumenten und führen ihre Bögen über die Saiten.
Warum die Staatskapelle neue Räume brauchte? Der frühere Probenraum war zu klein und entsprach auch sonst nicht mehr den Anforderungen an ein Orchester. Seit Corona durfte dort auch nicht mehr in voller Größe geprobt werden. So ging es für die Musikerinnen und Musiker zunächst in eine Lagerhalle am Stadtrand. Dann in die alten Druckereihallen der Schweriner Volkszeitung. Und nun, mit Beginn der neuen Spielzeit, in die ehemalige Reiterhalle des Marstalls. Ihr großer Pluspunkt: Sie liegt sehr zentral, am Rande der Altstadt, gerade einmal fünf Gehminuten vom Theater entfernt.
Der Probenraum füllt sich. Einige Musiker sitzen schon an ihren Instrumenten. Andere Stühle sind noch leer.
Bevor das Orchester einziehen konnte, wurde die rund 800 Quadratmeter große Halle unter Federführung des Staatlichen Bau- und Liegenschaftsamtes (SBL) einerseits allgemein instand gesetzt, andererseits passgenau für die Staatskapelle hergerichtet: Der schadstoffbelastete Boden wurde rausgerissen, ein multifunktionaler Boden eingebaut, Barrierefreiheit geschaffen. Schallschluckende Elemente und Traversen für Licht und Technik wurden errichtet, Zwischenwände gezogen. Um nur einige Beispiele zu nennen. Kostenpunkt: Insgesamt rund 1,7 Millionen Euro, sagt Robert Klaus, Leitender Baudirektor des SBL.
Außenaufnahme vom Marstall. Das Gebäude trägt eine beige Fassade. Links und rechts befinden sich drei halbbaumgroße Fenster, dazwischen die Eingangstür. Dunkle Wolken mischen sich in den blauen Himmel.
Der Marstall ist eine Liegenschaft des Landes und wird vom Staatlichen Bau- und Liegenschaftsamt Schwerin verwaltet. Zusätzlich zum Probenraum gibt es in der ehemaligen Reithalle nun auch zwei Einspielräume, ein Instrumentenlager sowie Räume für den Dirigenten und die Orchesterwarte.
Leere Stühle stehen im Raum. Ein Pfeiler. Und zwei Streichinstrumente. Eines davon ist ein Kontrabass.
Gewusst? Die neue Bodenplatte ist so stark, dass darüber sogar Pferde galoppieren könnten. Und wie heizt man so einen großen Raum? Die Grundbeheizung übernehmen Heizkörper an der Wand. Darüber hinaus können bei Bedarf Deckenheizstrahler genutzt werden.
Andreas Winkler, ein Mann Anfang 50, sitzt mit Schlegeln in der Hand vor zwei Pauken.
Auch Paukist Andreas Winkler hat nun mehr Platz, um auf die Pauke zu hauen. Für die Staatskapelle ist der neue Probenraum jedoch nur eine Zwischenlösung. Das aber für eine längere Zeit: Orchesterdirektorin Gesa Johanns geht von rund zehn Jahren aus. Wenn es soweit sei, könnten alle Einbauten, die speziell für das Orchester geschaffen wurden, problemlos zurückgebaut werden, betont das Staatliche Bau- und Liegenschaftsamt Schwerin.
Generalmusikdirektor Mark Rohde dirigiert, beugt sich dabei weit nach vorn, fast schon in eine Verbeugung.
Generalmusikdirektor Mark Rohde und „seine“ Staatskapelle starten am Freitag, 16. September, mit Wagners Oper „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ in die neue Spielzeit. Das 1. Sinfoniekonzert – Anton Bruckners Sinfonie Nr. 8 c-Moll – steht am 3. Oktober erstmals auf dem Programm. Das Theater nutzt die frühere Reithalle übrigens nicht zum ersten Mal: Bereits in den 1970er- und 80er-Jahren war sie ein Nebenspielort. Und auch davor gab es hier hin und wieder schon Theater. Alle Fotos © Cornelius Kettler

Warum heißt es – Marstall?

Der Begriff leitet sich vom althochdeutschen Wort „marahstal“ ab. „Marah“ bedeutete dort „Pferd“.

Nachdem Großherzog Paul Friedrich 1837 von Ludwigslust zurück ins Schweriner Schloss gezogen war, brauchte er ein Gebäude, das groß genug für all seine Pferde und Kutschen war. Und eine Reithalle. Die Bauarbeiten begannen 1838 und dauerten vier Jahre. Gebaut wurde das Gebäude nach den Plänen von Georg Adolph Demmler.

Von seinem Marstall hatte der Großherzog allerdings gar nichts: Er starb im März 1842 und sein Sohn, Friedrich Franz II., übernahm den Thron. Seine heutige Gestalt erhielt das auffällige Gebäude am Rande der Altstadt zwischen 1854 und 1873 durch Um- und Ausbauten von Hofbaumeister Hermann Willebrand.

Um ihre Pferde und Kutschen kümmerte sich die großherzogliche Familie natürlich nicht selbst. Dafür hatte sie Personal. Pferdeburschen, Stallmeister, Wagenmeister. Auch sie wohnten im Marstall. 

Als Großherzog Friedrich Franz IV. 1918 abdankte, begann für den Marstall eine wechselvolle Nutzung. 1938 wurde aus ihm eine Polizeikaserne, nach dem Krieg eine Kaserne der sowjetischen Besatzungsmacht. Mitte der 1950er-Jahre zogen Behörden ein, unter anderem die Bau-Union Schwerin, das Bezirksbauamt und der Rat des Bezirks Schwerin. Die Reithalle wurde sportlich und kulturell genutzt. Von 1997 bis 2011 befand sich darin das Technische Landesmuseum.

Nach der Wiedervereinigung wurden die Seitenflügel von verschiedenen Ministerien genutzt. Aktuell hat im rechten Flügel das Sozialministerium seinen Sitz, im linken das Bildungsministerium – und in der Reithalle dazwischen die Mecklenburgische Staatskapelle ihren Probenraum.

Der Marstall ist Teil des Residenzensembles, mit dem sich Schwerin um den Titel „Weltkulturerbe“ bewirbt, und steht unter Denkmalschutz.
Auf der Rückseite des Gebäudes erinnern blaue Pferdefiguren daran, wie der Marstall früher genutzt wurde.