14.09.2016

Flaschenpost auf Lesereise - Oliver Lück im Interview

Porträt von Oliver Lück.

Oliver Lück ist ein Geschichtensammler. Im Land zwischen den Meeren in Schleswig-Holstein geboren, arbeitet er seit über zwanzig Jahren als Journalist, Buchautor und Fotograf für deutschsprachige Magazine und Tageszeitungen. Regelmäßig reist er durch Europa und findet Geschichten von Menschen. Erst kürzlich erschien sein Buch„Flaschenpostgeschichten. Von Menschen, ihren Briefen und der Ostsee" im Rowohlt Verlag. Damit ist er nun auch in Mecklenburg auf Lesereise. Wir haben mit ihm gesprochen.

Was war der Anstoß für Ihre Reise 2008 – ohne Ziel? Ich bin Journalist und immer auf der Suche nach interessanten Menschen und Geschichten. Und meist ist es gut, sich von den zufälligen Begegnungen im Leben leiten zu lassen. Man sollte nicht zu sehr planen. Viel Zeit und kein Ziel. Europa ohne Ende – das war mein Motto auf dieser am Ende 20-monatigen Reise. Ich bin über 50.000 Kilometer in meinem VW-Bus gefahren. Und wenn ich ein Ziel hatte, waren es weniger die Länder, sondern die Menschen, denn sie sind es, die so eine Reise am Ende ausmachen. Die besonderen Begegnungen, an die man sich auch viele Jahre danach oder sogar sein ganzes Leben lang erinnert. Daraus ist am Ende ein Buch geworden: „Neues vom Nachbarn – 26 Länder, 26 Menschen“. Was bewegte Sie, den Flaschenpostgeschichten nachzugehen und Ihre Verfasser aufzusuchen? Eine Begegnung in Lettland im Sommer 2008. Ich war gerade von Litauen über die Grenze gefahren und suchte nicht mehr als einen ruhigen Schlafplatz am Meer. Doch dann entdeckte ich einen mit Treibgut bunt geschmückten Garten, der eigentlich kein Garten, sondern ein großes Museum war. Bestückt mit aus Müll gebauten Kunstwerken. Und die Frau, die dort lebte, zeigte mir auch fast 40 Flaschenpostbriefe, die an den Strand vor ihre Haustür gespült worden waren. Sie hatte allerdings nie jemanden geantwortet. Sie sprach kein Englisch und kein Deutsch. Sie hatte kein Telefon und keinen Computer. Also machte ich mich daran, den Absendern vom Fund ihrer Meerespost zu erzählen. Welcher Flaschenpostbrief hat Sie am meisten angesprochen? Die Geschichten, die nun in mein zweites Buch gekommen sind, sind für mich die bewegenden Geschichten. Am Ende meiner zweieinhalbjährigen Recherche hatte ich ja eine Auswahl von über 300 Flaschenpostbriefen. Etwa 100 Menschen habe ich noch erreicht. Dann habe ich gezielt die Absender und Finder besucht, um die Geschichten hinter den Briefen zu erfahren. Und die sind höchst unterschiedlich: Ein dänischer Strandpolizist, der seit 1971 rund 200 Mal Flaschenpost gefunden hat. Ein schwedischer Fischer, der auf einer entlegenen Insel im Schärengarten vor Karlskrona lebt. Eine Dänin, die sechs Sprachen spricht und in Tansania eine zweite Heimat gefunden hat. Ein Meeresbiologe aus der Ukraine, der auf seinen Forschungsfahrten in aller Welt schon mehr als 200 Mal Flaschenpost geschrieben und diese mit Seriennummern versehen hat. Oder ein Mann aus Sassnitz, der regelmäßig Post in der Ostsee verschickt. Das ist sein Hobby. Und er hat tatsächlich schon über 30 Antworten aus sieben Ländern bekommen. Wohin führten Ihre Reisen auf der Suche nach den Verfassern? Einmal rund um die Ostsee. Von Deutschland nach Litauen, von Russland nach Schweden, von Dänemark nach Polen. Das Schöne war, dass ich diese Recherche nicht planen konnte. Das Meer hat mir die Geschichten vor die Füße gespült. Ich habe mich von der Ostsee leiten lassen. Alles begann im Garten der alten Dame in Lettland, die mir einen Brief aus Deutschland zeigt, dessen Absender schon viele Antworten bekommen hat, wie zum Beispiel von einem Flaschenpostsammler aus Bornholm. Und so ging es immer weiter und weiter. Immer mehr Flaschenpost tauchte auf. Und immer mehr Geschichten. Bestehen noch Kontakte zu den Leuten? Das Buch ist ja gerade erst erschienen. Und alle paar Wochen schreiben wir uns E-Mails oder telefonieren. Den einen oder anderen habe ich auch schon wieder besucht, da ich gemeinsam mit dem NDR Fernsehen im Sommer einen 60-minütigen Film über meine Arbeit als Journalist und „Flaschenpostgeschichten“ gedreht habe. Die „nordstory“ wird am 30. September um 20:15 Uhr gezeigt Haben Sie selbst schon einmal eine Flaschenpost geschrieben und gefunden? Während meiner Recherche habe ich 20 Briefe selber auf den Weg gebracht und drei Antworten bekommen. Eine kam aus Lettland – von einem Schäferhund, der meine Flaschenpost am Strand gefunden und seinem Frauchen gebracht hatte. Und selber gefunden habe ich tatsächlich eine – auch in Lettland. Sie kam von drei Kindern aus München, die auf Rügen Urlaub machten. Die Flasche hatte es in nur 14 Tagen bis ins Baltikum geschafft. Eine Plastikflasche, zwar nicht schön, aber viel schneller als Glas, da sie nicht so tief eintaucht – das neue Zeitalter der Flaschenpost. Was bedeutet für Sie Reisen? Das Reisen gehört zu meinem Beruf als Journalist und Fotograf. Wer nie verreist, kann auch nicht nach Hause kommen. Durch das Verreisen verändert sich der Blickwinkel auf die Heimat. Man muss aber gar nicht immer weit weg fahren, um interessante Menschen zu treffen und spannende Geschichten zu finden. Das geht auch vor der Haustür. Auch in Deutschland. Auch in Mecklenburg-Vorpommern. Man muss nur seine Alltagsblindheit abstellen. Ich bin mit meinen Büchern ja oft auf Lesereise, auch in MV, und da habe ich fast täglich die wunderbarsten Begegnungen. Was ist Ihre Inspiration, Menschen aufzusuchen? Ich kann vor allem viel lernen. Das ist mit jeder Begegnung so, für die ich mir Zeit nehme. Und die Zeit ist der Schlüssel zu jeder guten Geschichte.

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