Auf ein Hörspiel in die Kirche
Wie haucht man einer alten Kirche neues Leben ein? Mit Fontane. Sherlock Holmes. Dem kleinen Prinzen. Und Geschichten aus der Murkelei. Teil VI unserer Serie über Kunst und Kultur in der Mecklenburgischen Seeplatte: die Hörspielkirche in Federow.
„Sonntagnachmittag. 16 Uhr. Partymusik, Geschrei und Lärm um mich herum. Man verdächtigt mich. Angeblich bin ich eine Verbrecherin. Ich, Penny Pepper, unschuldige zehn Jahre alt und jüngstes Mitglied einer peinlichen, aber nicht kriminellen Familie, soll den süßesten Hund der Welt gekidnappt haben.“* Emmas Gedanken folgen Penny Pepper zur Geburtstagsparty in Floras Garten. Normalerweise hört sie Bücher zu Hause, in ihrem Zimmer. Oder beim Autofahren. Jetzt sitzt sie in der Kirche.
(K)eine Dorfkirche wie viele
Der Feldsteinbau inmitten von Federow, einst war er eine Dorfkirche wie viele. Klein. Jahrhunderte alt. Angefressen vom Zahn der Zeit. Ungenutzte Zeitgeschichte. Heute sieht man es den Wänden schon von Weitem an: Anders, als viele Dorfkirchen im Land hatte sie dann aber eine Menge Glück. Das Glück hieß Jens Franke und Leif Rother. Der eine: ein Architekt aus Potsdam. Der andere: der engagierte Pastor aus dem Dorf. Man müsste mal, denkt sich Jens Franke, als er die verfallende Kirche im Herbst 2002 zum ersten Mal sieht. Hörspiele in einer Kirche? Man müsste mal, stimmte der Pastor zu, als er von Frankes Idee hört. Dann machten sie mal. Was zusammengefasst sehr einfach klingt, benötigt einen langen Atem. Und eine Menge Glauben. An die Lust am Bücherhören. Und daran, dass andere die Idee genauso gut finden. Alten Gemäuern zu neuem Gehör zu verhelfen – das braucht Mitstreiter. Kostet Geld. Und startet deshalb 2005 erst einmal auf Probe. Die ersten Spenden lassen nicht lange auf sich warten. Der sprichwörtliche Stein rollt. Jetzt heißt es: Sich fachmännisch beraten zu lassen; über Senderechte, Nutzungsgebühren, Formalitäten. Und Verlage und Rundfunksender zu überzeugen, Archive zu öffnen. Das Klinkenputzen lohnt sich. Am Ende gibt es sogar Fördermittel. 160.000 Euro aus einem EU-Topf, der innovative Aktionen im ländlichen Raum unterstützt. Das reicht, um zusammen mit den ersten Spenden und vielen fleißigen Helfern kräftig Hand an der Kirche anzulegen. An Dach. Fassade. Fenstern. Technik.
Vom Reiseführer empfohlen
Während Penny Pepper „Dschastins“ Entführer Kapitel für Kapitel dichter auf die Spur kommt, lugen immer wieder Neugierige zur Tür herein. Die meisten sind mit dem Rad da, haben im Reiseführer von der ungewöhnlichen Kirche gelesen. Dass die Kirche am Eingang zum Müritz-Nationalpark – und damit an einer Besucherquelle – liegt, war ein wichtiges Argument für den Mut, hier die bundesweit erste Hörspielkirche zu errichten. Hauffs Märchen, Die Reise nach Sundevit, Unterm Birnbaum, Der kleine Prinz, Geschichten aus der Murkelei, Sherlock&Watson – insgesamt 14 Hörbücher standen in diesem Jahr im Programm. Sieben in der roten Woche, sieben in der grünen. Dienstags. Mittwochs. Donnerstags. Von Juni bis August. Der Freitag gehört besonderen Veranstaltungen. Lesungen. Konzerten. Oder beidem. Sonntags sind es Geschichten aus der Bibel. Gut eine Stunde. Dann hat Penny Pepper „Dschastins“ Entführer entlarvt. Zeit für eine Pause. Emma und ihre Familie radeln weiter. Die CD wechselt. Zu einem Gitarrenhörbuch mit Instrumenten aus heimischen Hölzern. Es ist das letzte Hörbuch vor der Herbst-, Winter- und Frühlingsruhe. Bevor sich die kleine Feldsteinkirche im kommenden Sommer wieder aufs Neue Gehör verschafft. * Aus: Penny Pepper Alles kein Problem. Ulrike Rylance, Der Audio Verlag, 2014, vorgelesen von Carolin Kebekus