Her mit der Knete!
Es gab eine Zeit, da hatte Nadja Bossert nichts als Knete im Kopf. Sobald sie am Morgen erwachte, hüpfte sie zum Tisch herüber, auf dem bergeweise blaue, gelbe und rote Modelliermasse lag. Sie griff sich ein Stück. Drückte es. Zog es. Drehte es. Stundenlang. Tagelang. Wochenlang. Bis zu dem Augenblick, als das Wunder vollbracht war. Vor ihr lag eine lange Wurst.
Vorsichtig schnitt sie diese in viele dünne Scheiben – und wundersamerweise war auf jeder dieser Scheiben dasselbe Gesicht, Tier oder Muster zu sehen. Sie hatte es geschafft, Motive in die Knetrolle so hinein zu zaubern, dass sich diese von vorne bis hinten durchzogen. „Ich baue einfach alles von innen nach außen auf“, beschreibt sie ihre Technik, die einem genetischen Fingerabdruck gleich kommt. „Anschließend wird alles im Ofen gebacken.“
Gute Laune fürs Auge
Kurz nach ihrer kleinen Erfindung begann Nadja Bossert mit der Produktion von Ohrringen, Ketten und vielem mehr. In Schwerin eröffnete die junge Frau mit dem geflochtenen Zopf ihre Knet Confiserie. Direkt am Ziegenmarkt. Das war vor vier Jahren. Seitdem hat die Künstlerin weiter an ihrer Produktpalette geformt. „Alles ist ein bisschen erwachsener geworden“, frohlockt sie. „Meine Motive bestehen nicht mehr nur aus Gesichtern, sondern auch graphischen Mustern.“
Edel sehen die Griffe aus, mit denen sie Tortenheber, Ess- und Salatbesteck verziert. Das Auge isst eben mit. Gute Laune verbreiten auch die Motive, die auf Schmuckstücken, Löffeln, Gabeln und Messern für Kinder leuchten. Schildkröten, Giraffen und Frösche schauen lustig in die Weltgeschichte. Und immer mal wieder lassen sich in Nadjas Knet Confiserie lachende Matroschka-Gesichter mit Schmollmund entdecken. Ein Motiv, das die 33-Jährige seit ihrer Kindheit verfolgt.
Sibirien, Sachsen, Stuttgart, Schwerin
Aufgewachsen ist die Schwerinerin nämlich in Sibirien. Als sie zehn Jahre alt wird, verformt sich plötzlich das Leben der Familie. Die zieht 1993 nach Deutschland. In Sachsen gefällt es Nadja gut, doch weil die Eltern keine Arbeit finden, geht es weiter nach Stuttgart. Dort beginnt für die Zwillinge eine harte Zeit. Kälte und Vorurteile schlagen ihnen entgegen. Weil sie gemeinsam mit anderen Aussiedlern in einer Art Ghetto wohnen, haftet ihnen automatisch ein schlechter Ruf an. „Kinder aus anderen Stadtteilen redeten gemeines Zeug“, erinnert sich Nadja Bossert. „Sie behaupteten, dass wir ganz viel Leistung vom Staat erhalten, dicke Autos fahren und sie die Steuer zahlen müssen.“
Nach der Schule zieht es Nadja auf die Uni. Sie studiert Medien in Stuttgart und dreht mit ihrer Schwester einen Trickfilm. Das Projekt entpuppt sich als Mammutarbeit. Sie bauen die Kulissen und Figuren, imitieren die Stimmen. Doch die Mühe lohnt sich. Ihr kleiner Streifen wird 2007 auf dem Kinderkanal Kika gezeigt.
Eine Werkstatt voller Ideen
Es kommt die Zeit, da packt die Studentin das Fernweh. Sie begibt sich auf eine halbe Weltreise und lernt dabei in Australien einen Ludwigsluster kennen. Die beiden werden ein Paar. Sie leben eine Weile gemeinsam in Hamburg. Doch die Hansestadt ist ihnen zu groß. Ludwigslust hingegen zu klein. Die Wahl fällt auf Schwerin. Volltreffer. Nadja fühlt sich von der ersten Sekunde an wohl. Sie ahnt warum: „Es ist die ostdeutsche Mentalität, die ich mag, weil sie der russischen ähnelt.“ Und wo ist ihre Zwillingsschwester? „Die ist in Australien hängen geblieben und fühlt sich dort inzwischen Zuhause. Wir telefonieren regelmäßig.“
Dann erzählt Nadja ihr von der Arbeit, der Knet Confiserie und den anderen Kunsthandwerkerinnen, mit denen sie am Schweriner Ziegenmarkt ihre Werkstatt teilt. Sie berichtet ihr von den quirligen Kindern, die zu ihr kommen. Mit denen sie an Geburtstagen oder in den Ferien bunte Sachen knetet. Sie erzählt ihr vom Biohof Medewege, auf dem sie jetzt nebenbei jobbt. Schließlich ist so ein Künstlerdasein ein hartes Brot. Und natürlich erzählt Nadja ihr vom neuen Kunstmuseum, das gerade in Schwerin eröffnet wurde. „Dort gibt es das Café KunstPause“, sagt Nadja. „Und in dem sind bis auf Weiteres einige Sachen von mir zu sehen und zu erwerben. Ich bin ziemlich froh, dass ich zu den regionalen Künstlern gehöre, die da mitmachen können.“ Wer weiß. Vielleicht kommt ihr Schmuck bei den Besuchern gut an. Touristen nehmen sich gerne mal ein Urlaubssouvenir mit nach Hause. Dann bekommt Nadja Bossert endlich die Knete, die sie verdient hat.
Text: Anja Bölck
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