Hinter dem Horizont geht’s in die DDR
„Bin ich auch dabei?“ Als sich herumspricht, dass Schwerin in diesem Sommer eine Ausstellung zur DDR-Kunst plant, soll so mancher Künstler im Museum angerufen haben. Für ihre Entscheidung haben Kornelia Röder und Deborah Bürgel lange in der hauseigenen Sammlung gestöbert. Nach lauten und leisen Positionen und unterschiedlichen Facetten gesucht. Jetzt liegen „Hinter dem Horizont“ sieben Kapitel und 51 Künstler.
Da sitzen sie nun. Vier Sowjetsoldaten. In Uniform. Vor zinnoberrotem Hintergrund. Auf einem Brett. Links und rechts rutscht es ab. Kein fester Stuhl. Kein Stolz. Kein Heldenblick. Keine Auftragsarbeit. Der Kalender schreibt die Jahre 1986 und 1987, als die vier Soldaten Thomas Ziegler in Schwerin regelmäßig Modell sitzen. Das System wackelt. Es ist die Zeit von „Perestroika“ und „Glasnost“, Umgestaltung und Offenheit. Als die sowjetischen Soldaten kurz darauf in Dresden, in der X. - und letzten – Kunstausstellung der DDR hängen, werden sie heiß diskutiert. Ein Käufer findet sich auch: die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Sie verleiht ihm für das Bild einen Kunstpreis und hängt es ins Schweriner Haus der DSF, dem heutigen Neustädtischen Palais und Sitz des Justizministeriums. 1989 plant das Museum der Harvard University eine Ausstellung über zwölf Künstler der DDR. Auch Zieglers Soldatenbild soll dabei sein. Erst als der amerikanische Kurator den Kulturfunktionären droht, die ganze Ausstellung platzen zu lassen, geben sie klein bei und stimmen zu. Als es 1990 aus den USA zurückkommt, ist die DDR Geschichte. Die sowjetischen Soldaten landen im Kunstarchiv Beeskow. Zusammen mit vielen anderen DDR-Kunstwerken aus Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Brandenburg. Vor drei Jahren kommen sie zurück in den Landeskunstbesitz. Jetzt werden sie das erste Mal wieder öffentlich gezeigt. Gleich neben ihnen hängt Rosa. „Die Rosa“. Das Ministerium für Kultur hatte sie bei Heidrun Hegewald in Auftrag gegeben. Am Ende ist den Funktionären der Blick auf Rosa Luxemburg zu schwarz gemalt. Sie lehnen das Bild ab. Wer bei den Soldaten und Rosa Luxemburg angekommen ist, hat den größten Teil der Sommerausstellung des Staatlichen Museums Schwerin schon hinter sich. Die fleißigen Bauern, Fischer und Arbeiter aus den Auftragsmalereien. Die Stillleben, Porträts und Landschaften der Usedomer Künstlergemeinschaft. Wieland Försters sinnliche Zeichnungen und Skulpturen. Viel Abstraktes und noch mehr Realismus. Zusammengetragen haben Kornelia Röder und Deborah Bürgel die meisten Ausstellungsstücke aus dem museumseigenen Depot. Die Qual der Wahl lag in 613 Bildern, 158 Skulpturen und mehr als 1000 Grafiken und Zeichnungen. Am Ende blicken die beiden Kuratorinnen in sieben Kapiteln auf die Kunstgeschichte der DDR. Mit gut 100 Beispielen. „Die Ausstellung zeigt, wie vielfältig und zuweilen auch widersprüchlich die Kunst war, die zur Zeit der DDR entstand“, sagt Pirko Kristin Zinnow. Ihr sei bewusst, so die Direktorin der Staatlichen Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen, dass DDR-Ausstellungen „gerade in Mode sind“. Das Museum laufe hier aber „keinem Trend hinterher“, sondern führe als einer der Vorreiter bei diesem Thema seine seit 1996 kontinuierlich geführte Auseinandersetzung mit der DDR-Kunst fort. Im Epilog der Ausstellung kommt die Kunst per Postkarte. Die bei „Verantwortung“ mit den Fingern auf andere zeigt. Zum „Stand der Dinge“ sagt: „Es wird Zeit, daß sie in Bewegung geraten“. Mit dem Kopf im Sand eindringlich fordert: „Versetzen Sie sich bitte nicht in meine Lage.“ Oder beteuert: „Niemand hat die Absicht, eine Ausstellung zu eröffnen.“ Mail-Art nennt sich das, was weit vor dem Internet als internationales Netzwerk für den Kunst- und Gedankenaustausch fungierte. Anarchisch. Subversiv. Provozierend. Witzig. Und nicht ganz ungefährlich. Damit endet das letzte Kapitel „hinter dem Horizont“. Abgeschlossen ist die Auseinandersetzung des Museums mit der DDR-Kunst damit aber nicht, kündigt Direktorin Zinnow an. Denn: Hinterm Horizont geht es ja bekanntlich weiter.