24.04.2022

Wenn aus Trauben Kunst wird

Detailaufnahme einer flachen Kunststoffplatte mit schwarzen Gittern, die viele Vierecke bilden.
Wirklichkeit? Oder Imagination? In Ruzica Zajecs Arbeit „Aus der Geschichte der Trauben“ bestimmt das Licht, wie leere Stellen den Zwischenraum gestalten.

Leerstelle Kunst. Was würde Ihnen dazu einfallen? Was Künstlerinnen und Künstler damit verbinden, zeigt der Künstlerbund MV seit Samstag in seiner landesweiten Kunstschau in Schwerin. Wir waren bei der Eröffnung dabei. Ein Rundgang in 19 Bildern.

Ruzica Zajecs Geschichte der Trauben braucht das Licht. Auch wenn die Früchte längst gegessen sind. Das Plastik, das sie übrig gelassen haben, schreibt die Geschichte der Trauben jetzt an einer weißen Wand im Kulturforum „Schleswig-Holstein-Haus“ fort. Viel erkennen kann man von den Schalen, in denen die Trauben einst schützend verkauft wurden, nicht mehr. Ruzica Zajec hat die Leere der Verpackungen neu in Form gebracht, der Geschichte eine andere Perspektive gegeben. Die Luftlöcher, die eingelassenen Beschriftungen, Abdrücke und Muster - die Wärme des Bearbeitens hat sie gedehnt, verwischt oder original erhalten. Bei Licht betrachtet malen ihre Schatten eine neue Geschichte an die Wand.

Leerstelle Kunst. Das übergeordnete Thema der 32. Landesweiten Kunstschau hatte mehr als 100 Künstlerinnen und Künstler animiert, sich zu bewerben. 56 haben eine Zusage erhalten. Ihre Bilder, Fotografien, Zeichnungen, Grafiken, Videoarbeiten und Installationen richten ihren Blick Raum für Raum auf andere leere Stellen. Auf solche, die Corona hervorgebracht hat. Auf Wachstum und Zerfall der Natur. Auf das Fehlen einer Kunsthochschule in MV. Auf Leerstellen durch Krankheit und Tod. Oder darauf, wie Leerstellen neue Räume bilden. Mit realen Linien, imaginären Grenzen und der „Wirklichkeit“ von Schatten. So, wie in Ruzica Zajecs Geschichte der Trauben. Kuratorin Annekathrin Siems löscht für einen Moment das Licht. Linien, Grenzen, Schatten verschwinden. Hinterlassen an der Wand eine leere Stelle. Eine Leerstelle.

Außenaufnahme vom Schleswig-Holstein-Haus, einem Fachwerkgebäude.
Die landesweite Kunstschau hat in diesem Jahr ihr Domizil im Schweriner Schleswig-Holstein-Haus. Das erste Exponat hat an der Fassade Platz gefunden: neun große, farbige Nullen. Christine de Boom interpretiert ihre Installation als einen Anfangspunkt, von dem aus alles in Bewegung kommt.
An einem Gestell hängt ein Stift. Unter ihm befindet sich ein kleiner Kasten mit schwarzem Papier. Im Hintergrund steht eine Wand mit vielen schwarzen Papiervierecken. Darauf befinden sich Zeichnungen des Stifts.
Bitte einschreiben! Einfach den Harmonographen in Schwung versetzen. Den Rest erledigt der Stift von selbst. Robert Günther spielt damit auf eine fehlende Kunsthochschule in MV an, in die man sich einschreiben könnte.
Annekathrin Siems steht neben zwei Büsten und spricht.
Kuratorin Annekathrin Siems erklärte den Besuchern zur Eröffnung viele Details zu den ausgestellten Werken. An den Terrakotta-Büsten von Ines Diederich zeigt sich: Nicht immer sind Dinge so, wie sie auf den ersten Blick scheinen.
Zehn Stelen mit Lichtobjekten. Vor ihnen stehen Besucherinnen und Besucher.
Sieglinde Mix erzählt mit ihren zwölf Lichtobjekten „Seelen“ eine ganz persönliche Geschichte: Ein Jahr lang hat sie ihre demente Mutter begleitet. Jede Stele steht für einen Monat – und seine Veränderungen.
Ein Muskel und ein angeschnittener Knochen liegen auf Samtkissen.
Mit ihrem „Musculus – Reliquie der Heiligen A.“ greift Petra Steeger das Thema „Leerstelle“ in Bezug auf eine fehlende Kunsthochschule in MV auf. Ihre Botschaft: Alles Innere braucht eine Hülle, kreatives Schaffen einen Raum.
Ein Mädchen schaut wie bei einem Mikroskop durch eine Plastik.
Die Kleinplastik von Anett Simon lädt Besucher ausdrücklich ein, einen Blick in ihr „Gehäuse 1“ zu werfen. Alma hat's ausprobiert. Schauen Sie doch auch einmal!
An der Wand hängt ein Kunstwerk.
Bei diesem Kunstwerk empfiehlt Kuratorin Annekathrin Siems ein paar Schritte zurückzutreten und im Kreis zu gehen, bis sich der Schriftzug an Christine Lengtats „Doormat“ zu erkennen gibt.
Ein Ausstellungsraum. An der Wand hängen Bilder. Im Raum steht eine Plastik.
Die Ausstellung erstreckt sich über zwei Etagen und neun Schwerpunkte rund um das Thema „Leerstelle Kunst“. Insgesamt 56 Künstlerinnen und Künstler haben ihren Gedanken dazu Ausdruck verliehen.
An einer Wand hängen viele weiße Blätter. Sie sind mit dünnen, roten Linien bemalt.
Die Grundlage für diese Arbeit sind Blätter aus dem Wald. Karin Schroeder hat den Leerstellen darin Farbe und Kontur gegeben.
Lichtspiel an einer Wand.
Christian Egelhaaf hat sich für seine zehnminütige Videoinstallation „Nische“ ganz bewusst in eine selbige zurückgezogen – und gibt dem Raum damit neues Volumen.
An einer Wand hängt eine bunte Leinwand.
Regina Zacharski hat sich mit dem Thema „Corona“ auseinandergesetzt. Mittelpunkt ihrer digitalen Plastik auf Leinwand ist die neue digitale Normalität.
Zwei Bildschirme hängen an einer Wand. Eine Besucherin steht davor und betrachtet die Videos. Sie trägt Kopfhörer.
Ich bin nicht da: Stefanie Rübensaal stellt in ihrer Videocollage „Wo bist du?“ vier Worte in den Raum, verschiebt sie in wechselnder Kombination und Botschaft.
Eine blau bemalte Rolle steht zusammengerollt im Raum und wird von einem Eisengitter umgeben. An der Wand hängt eine Leinwand mit einem Loch.
Britta Naumann hat ihr Kunstwerk „Aus dem Rahmen“ geholt, die herausgeschnittene Leinwand aufgerollt und in einen verrosteten Käfig mit Stacheln gesteckt. Als Mahnmal gegen die Verschmutzung der Meere.
Kulturministerin Bettina Martin steht vor dem Schleswig-Holstein-Haus an einem Rednerpult und spricht.
Kulturministerin Bettina Martin bezeichnete die landesweite Kunstschau als eine der wichtigsten wiederkehrenden Ausstellungen im Land, die seit mehr als 30 Jahren zeige, wie interessant und vielfältig das künstlerische Schaffen in MV sei.
Detailaufnahme eines weißen Stoffs. Darauf befindet sich ein gezeichnetes Gesicht.
Karen Kunkel wurde in einer Klinik zu ihrer Installation inspiriert: Sie hat Porträts von Mitpatienten auf Einwegwaschhandschuhe gezeichnet – einem Material, mit dem man nicht gewaschen werden möchte. Ihr Beitrag zum Thema „Leerstelle Mensch“.
Eine Besucherin betrachtet eine Wand voller Polaroids.
Die Polaroid-Serie von Janet Zeugner zeigt einzelne Menschen zu Weihnachten, Geburtstagen, in besonderen Momenten. Die Lücken dazwischen werfen die Frage auf: Was passiert in den Zwischenräumen? Was betrachten wir als bildwürdig?
In einer Vitrine stehen Gläser und Flaschen. Daneben hängt ein Glasbild.
Claudia Kapellusch zeigt in ihrem Ausstellungsbeitrag nicht nur das fertige Werk – eine Zeichnung auf Glas. Sondern auch die Rohstoffe und Utensilien, die sie dafür verwendet hat.
An einer Wand hängen bemalte Postkarten. Davor steht ein Sockel mit Büchern.
Anne Hille hat sich für ihre Bilder von Zitaten aus dem Buch „Liebes Lieben“ von Alice Munro inspirieren lassen. Wer das auch einmal ausprobieren möchte: Anne Hille bietet ihre Bilder als Postkarte zum Mitnehmen an – im Tausch gegen eigene Kunstwerke. Für Inspirationen gibt’s einen Büchertisch.