07.09.2022

Ein echter Uecker für den Dom

Günther Uecker steht auf einem Baugerüst vor einem blauen Kirchenfenster, das er gestaltet hat.
Als die Musterscheiben angebracht wurden, stieg der 92-jährige Künstler auch selbst aufs Baugerüst.

Wer den Schweriner Dom betritt, sieht sie sofort: sechs Kacheln, die sich tiefblau von den unverzierten Scheiben um sie herum abheben. Es sind die ersten Einblicke in ein Kunstwerk, das Günther Uecker für vier Kirchenfenster entworfen hat. 

„Die Fenster des Doms zu Schwerin sind zu beschreibende, leere Blätter. Sie warten auf neue Handschriften.“ Früher, so sagt Domprediger Volker Mischok, hätten viele von ihnen bunte Geschichten erzählt. Mit der Zeit seien sie jedoch abhanden gekommen, habe das Licht sein Farbenspiel auf den Pfeilern verloren. 

Günther Uecker soll es ihnen nun wiedergeben. Biblische Figuren oder Geschichten, so wie in den Fenstern an der Ostseite des Doms, sucht man darin vergebens. Ueckers Handschrift ist bildlich, abstrakt, andeutend, hindeutend. Und vor allem aus einer anderen Zeit. Ein Farbenspiel, das der Künstler als „Lichtbogen“ bezeichnet. „Ein Lichtbogen, der uns ins Universum führt, auf der Narbe unserer Verletzungen aus einer Quelle von Leben und seiner Gefährdung, unserer Verwundbarkeit im Aufbegehren, im Überschreiten der Schwelle einer Endlichkeit, einer Vision aus der Tiefe unserer Herkunft, die Farbe geführt im Kreis.“ Oder wie Pastor Mischok sagt: Ein Farbenspiel, das dazu einlädt, die Gedanken schweifen zu lassen. 

Wie der Dom und der Künstler zueinander fanden? Hier dreht sich das Rad der Zeit ins Jahr 2009 zurück. Zu seiner Ausstellung „Dialog“. Der ein oder andere erinnert sich vielleicht noch an die langen, weißen Stoffbahnen mit Friedensbotschaften. Hier sei man das erste Mal über die Fenster miteinander ins Gespräch gekommen, erzählt Thomas Balzer vom Förderkreis des Doms. „Wir wussten, dass er den Andachtsraum des Deutschen Bundestags gestaltet hat.“ Das weckt die Hoffnung, ihn auch für ein Kirchengebäude gewinnen zu können. Die Jahre gehen ins Land, der Kontakt reißt nicht ab. 2016 nimmt die Idee konkretere Formen an. Ein wichtiges Argument: Die durchschnittliche Haltbarkeit von Kirchenfenstern. Die betrage 150 Jahre, sagt Thomas Balzer. „Damit haben wir ihn überzeugt.“ 

Im Jahr darauf besucht Uecker drei Tage lang den Dom, lässt Licht und Schatten, Höhen und Tiefen des Raums auf sich wirken. Im Spätsommer 2020 trifft ein Päckchen in der Domgemeinde ein. Es sind die ersten Abbildungen der Entwürfe. Im Laufe der Zeit nehmen sie immer weiter Form an, müssen nun Geldgeber finden und Denkmalschützer überzeugen. 

Klinken putzen. Kompromisse finden. Rückschläge einstecken. Erfolge verbuchen: Hinter Pastor Mischok, dem Förderkreis und den vielen, häufig ehrenamtlichen Mitstreitern liegen aufregend-aufreibende Monate. Alle Denkmalfragen sind geklärt. Zwei der vier Fenster finanziert. Als im Sommer die sechs Musterkacheln angebracht werden, kommt auch Günther Uecker nach Schwerin und lässt es sich nicht nehmen, mit 92 Jahren aufs Baugerüst zu steigen. 

Wenn alles läuft wie geplant, sollen die beiden ersten Fenster zu Ostern oder Pfingsten 2023 an der Nordseite eingesetzt sein. Für die anderen beiden Fenster fehlen derzeit noch 400.000 Euro. Thomas Balzer zeigt sich am Mittwoch, bei der Projektpräsentation, jedoch zuversichtlich, bis Weihnachten 2023 auch an der Südseite den „Lichtbogen“ in den Fenstern zu haben. 

Günther Uecker steht in seinem großen Raum vor einem langen Tisch. Darauf liegt eine Stoffbahn mit blauem Muster.
In seiner Düsseldorfer Werkstatt bannte Günther Uecker den Entwurf zunächst auf Textilbahnen. Bei der Wahl von Motiv und Farbe hatte er freie Hand. Gestaltet werden die Fenster in einer Glasmanufaktur in Taunusstein.
Domprediger Volker Mischok steht auf einer Empore. Im Hintergrund: Ein Kirchenfenster mit zwei blauen Glaselementen.
Verzierte Kirchenfenster sind in ihrem Ursprung keine Frage der Optik, sagt Domprediger Volker Mischok. Ihre Bilder machten biblische Geschichten auch jenen Menschen zugänglich, die nicht lesen oder sich keine Bücher leisten konnten. Man nannte sie deshalb auch biblia pauperum - „Bücher für die Armen“. Ueckers Fenstergestaltung nennt der Pastor biblia nova pauperum – „neue Bücher für uns Arme“.
Kirchenfenster im Dom. Die Perspektive führt von unten nach oben Richtung Deckengewölbe.
Viele Fenster im Schweriner Dom haben über die Jahre ihren Schmuck verloren.
Neun Holzstelen. Darauf befinden sich Informationstafeln zum Dom und zu den geplanten Uecker-Fenstern.
Eine kleine Ausstellung gibt Dombesuchern einen Einblick in die Entstehungsgeschichte der Fenster.
Ein Mann und eine Frau stehen im Dom und schauen nach oben zu den Fenstern mit den blauen Uecker-Elementen.
Wer den Dom betritt, wendet seinen Blick automatisch nach oben, in die Höhe des Raums. Das bestehende Schutzglas bleibt erhalten: Die Scheiben des „Lichtbogens“ werden davor gesetzt.
Nahaufnahme der blauen Musterscheiben.
Seine Entwürfe hat Günther Uecker der Domgemeinde geschenkt. Die Umsetzung kostet jedoch mehrere hunderttausend Euro. Das Land fördert das Vorhaben mit 150.000 Euro. Die Ostdeutsche Sparkassenstiftung und die Sparkasse Mecklenburg-Schwerin geben ebenfalls einen sechsstelligen Betrag dazu. Kirchgemeinde und Förderverein beteiligen sich ebenfalls.
Zwei Männer und Frauen stehen unter einem der künftigen Uecker-Fenster.
Thomas Balzer (l.) vom Förderkreis Schweriner Dom geht davon aus, dass die fertigen Uecker-Fenster viele Besucher anlocken werden. Im Bild neben ihm – Vertreter der Fördermittelgeber: Katerina Schumacher (Kulturministerium), Kai Lorenzen (Sparkasse Mecklenburg-Schwerin) und Patricia Werner (Ostdeutsche Sparkassenstiftung, v.l.n.r.).
Nahaufnahme einer Infotafel mit den blauen Fensterelementen von Uecker.
So sollen die Fenster einmal aussehen, wenn sie fertig sind.
Auf einer dunklen Spendentruhe steht ein weißes Schild "Biblia Nova Pauperum. Spende für die Fenster. Bitte helfen Sie uns."
Für die Scheiben drei und vier hofft der Förderkreis auch auf Spenden von Dombesuchern.