Dieser Dachdecker ist ein Kulturtalent
Als Joachim Schröter, 58, angefangen hat, Reetdächer zu decken, musste er das Reet mit der Leiter hochtragen. Heute gibt es Aufzüge. Viel mehr hat sich an dem alten Handwerk nicht verändert. Das macht den Vielanker Reetdachdecker – stellvertretend für die Kollegen seiner Zunft – für die Unesco zu einem Kulturtalent.
Wenn Joachim Schröter Leuten aufs Dach steigt, dann ist sein wichtigstes Werkzeug die Hand. Maschinen, die ihm Arbeit abnehmen, gibt es in seinem Beruf nicht. Ihm helfen nur Nadeln, Knechte, ein Klopfbrett, ordentlich Kraft, viel Gefühl und ein gutes Auge. Schließlich sollen die Reetbündel – für ein Wohnhaus können das bis zu 6000 sein – am Ende nicht nur dicht halten, sondern auch schön und gleichmäßig aussehen.
Vom Dach der Armen zum immateriellen Kulturerbe
Kaum etwas wirkt so nordisch, wie Reetdächer. Früher war Reet das Dach der Armen. Wer es auf sein Haus packte, hatte meist kein Geld für teure Ziegel. Heute muss man sich die Arbeit von Joachim Schröter und seinen Berufskollegen leisten können wollen. Nicht zuletzt wegen der Handarbeit. Hinter ihr steckt eine lange Tradition: Die ersten nachgewiesenen Reetdächer gab es schon um 4000 vor Christus. Das macht das Reetdecken zu einer der ältesten Techniken beim Hausbau – und seit 2014 zu einem immateriellen Kulturerbe. In dem bundesweiten Verzeichnis befinden sich Traditionen und Bräuche, die von menschlichem Wissen und Können getragen sind, Kreativität und Erfindergeist ausdrücken, Identität und Kontinuität vermitteln. Dazu gehören Ausdrucksformen wie Tanz, Theater, Musik und mündliche Überlieferungen wie auch Bräuche, Feste – und eben Handwerkskünste.
Die Jahrhunderte sind vergangen, die Handgriffe geblieben
Einmal im Monat stellt die Deutsche Unesco-Kommission Menschen vor, die diese Traditionen mit Leben füllen und zeichnet sie als „Kulturtalent“ aus. Im Juni 2017 fiel die Wahl auf Reetdachdeckermeister Joachim Schröter. Allein mit Talent hat seine Arbeit allerdings weniger zu tun. Dächer mit Schilf zu decken, erfordert großes fachliches Können. „Um das Handwerk zu erlernen, braucht es mehr als nur ein Fachbuch oder ein Wochenendseminar“, sagt Joachim Schröter im Interview mit der Deutschen Unesco-Kommission. „Dafür braucht es Erfahrung und ein gutes Gespür.“ Denn: „Jedes Dach, jeder Reetbund ist anders.“ „Ich freue mich, dass erstmals ein Kulturtalent aus Mecklenburg-Vorpommern ausgewählt wurde“, sagte Kulturministerin Birgit Hesse. „Die Aktion ‚Kulturtalente‘ zeigt, dass unser Immaterielles Kulturerbe nur fortbestehen kann, wenn es gepflegt und gelebt wird.“ Die handwerklichen Gepflogenheiten basieren auch heute noch auf vielen Traditionen, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Abgesehen von kleinen Hilfsmitteln wie Aufzügen fürs Reet oder dem Akkuschrauber zum Befestigen habe sich an der handwerklichen Leistung im Laufe der Jahrhunderte kaum etwas verändert, so Schröter. „Man kann an dem Handwerk nicht wirklich viel verbessern.“
Gewusst?
- Obwohl das Reetdach-Handwerk eine sehr lange Tradition hat, kamen die ersten Fachregeln erst mit dem 20. Jahrhundert, eine spezielle Ausbildung zum Reetdachtechniker sogar erst 1998.
- Reet ist nicht gleich Reet. Welche Sorte aufs Dach kommt, hängt von seiner Form ab. „Für gerade Flächen nutzt man eher langhalmiges Reet, für Gauben oder Erker braucht man kurze Halme, damit man um die Ecke kommt“, sagt Joachim Schröter.
- Nur etwa 10 Prozent des Reets, das in Deutschland verarbeitet wird, stammt auch von hier. „Hier kollidiert das Handwerk häufig mit dem Naturschutz, denn auf vielen Flächen ist das Abernten von Reet verboten.“
- Reet wird nicht nur aufs Dach gepackt. Damit lassen sich auch Außenfassaden verkleiden.
Lesetipp
Warum werden Reetdächer wieder stärker nachgefragt? Wie hat sich das Handwerk gewandelt? Wie wird es in anderen Ländern ausgeübt? Das Interview von Joachim Schröter mit der deutschen Unesco-Kommission finden Sie hier: www.unesco.de.