15.10.2024

„Kunst ist frei, und das muss auch so bleiben“

Porträt von Bettina Martin
Kulturministerin Bettina Martin

„Offen für alle“ heißt das Motto der Landeskulturkonferenz 2024 in Parchim. Dieses sei ganz bewusst gewählt, sagt Kulturministerin Bettina Martin. „Eine demokratische Gesellschaft funktioniert nur, wenn alle daran teilhaben können, und ebenso ist es in Kunst und Kultur.“ Unser Interview.

Demokratiemotor Kultur“ heißt das Podiumsthema auf der Landeskulturkonferenz. Was kann Kultur denn leisten?

Bettina Martin: Kunst und Kultur sind wichtige Eckpfeiler in unserer demokratischen Gesellschaft. Sie eröffnen Diskursräume. Gerade in einer Zeit, in der leider unterschiedliche Meinungen immer unversöhnlicher aufeinanderprallen und Dialog und Kompromiss immer schwieriger werden, haben Kunst und Kultur eine besondere Kraft und nehmen eine besondere Rolle ein. Denn sie ermöglichen das Nebeneinander unterschiedlicher Perspektiven, den konstruktiven Dialog zwischen Positionen, sie lassen auch mal Disharmonie zu und – auch das ist in dieser schwierigen Zeit nicht unwichtig – Kunst darf auch mal Spaß machen und lädt zum Mitmachen ein. Kurz: Kunst und Kultur ermöglichen gesamtgesellschaftliche Austauschprozesse. Und die sind dringend notwendig für die Akzeptanz unserer Demokratie.  

Deshalb auch das Motto: „Offen für alle“?

Genau, eine demokratische Gesellschaft funktioniert nur, wenn alle daran teilhaben können, und ebenso ist es in Kunst und Kultur. Das muss deshalb unser Anspruch sein. Absolute Grundlage für uns als offene und demokratische Gesellschaft ist eben auch eine offene, teilhabegerechte und diverse Kunst- und Kulturlandschaft. Diese Offenheit zu verteidigen, ist kulturpolitisch für mich die größte Herausforderung der kommenden Zeit. Die Kunst ist frei, und das muss auch so bleiben.

Am Mittwoch möchten Sie mit den Teilnehmenden über bereits Erreichtes und noch bestehende Herausforderungen ins Gespräch kommen. An welche Herausforderungen denken Sie dabei?

Die vergangenen Wahlen in Europa und drei Bundesländern haben gezeigt, dass eine Orientierung hin zum Populismus, zum Extremen, zum Autoritären leider zunimmt. Das ist nicht nur ein Problem für unsere Demokratie, sondern auch für kulturelle Einrichtungen und Künstlerinnen und Künstler. Denn auch sie werden immer häufiger mit rassistischen, queer-feindlichen oder anderen Formen von Hass und Hetze konfrontiert - insbesondere, wenn sie sich öffentlich für eine diversitätsoffene Kulturlandschaft einsetzen. Die Herausforderung ist, solchen Anfeindungen souverän und sicher zu begegnen und sich nicht einschüchtern zu lassen.

Hinzu kommt, dass der Rechtsruck in politischen Vertretungen beispielsweise auf kommunaler Ebene spätestens seit den Kommunalwahlen teilweise zu erheblichen Verschiebungen in den politischen Kräfteverhältnissen geführt hat. Das hat auch kulturpolitische Konsequenzen, die wir sehr ernst nehmen müssen. Denn Kulturpolitik ist zu einem großen Teil kommunal gesteuert. Es gilt zu verhindern, dass es zu einer schleichenden Verschiebung des Diskurses auch in der Kulturszene kommt, indem z.B. quasi aus „vorauseilendem Gehorsam“ Förderanträge angepasst und Kulturprogramme verändert werden. Ich halte es deshalb für sehr wichtig, dass es hier einen Erfahrungsaustausch gibt, damit die Akteure vor Ort voneinander lernen können, wie hier gegengesteuert werden kann. Das war auch der Grund dafür, dass wir uns dieses Thema für die diesjährige Landeskulturkonferenz vorgenommen haben. 

Was wurde in den vergangenen Jahren bereits erreicht?

Ein zentrales Werkzeug unserer Arbeit sind die kulturpolitischen Leitlinien, die 2020 veröffentlicht wurden. Diese setzen wir gerade Schritt für Schritt in die Tat um. Besonders die Verstetigung einer zentralen Netzwerkstruktur mit Kulturland MV hat maßgeblich dazu beigetragen, dass wir erfolgreich einen steten Austausch mit der Szene und verschiedenen Netzwerktreffen etablieren konnten. Durch die Einrichtung mehrerer Fachstellen im Land konnten wir die einzelnen Sparten in ihrer Professionalisierung stärken und durch Beratungsangebote entscheidend ausbauen. Damit haben wir eine gute Struktur geschaffen, um Kultureinrichtungen bei der Planung und Umsetzung ihrer Vorhaben zu unterstützen.

Und konkret: Was hat sich seit der Landeskulturkonferenz 2023 getan?

Viel. Wir haben z.B. eine Studie zur Barrierefreiheit in Kunst und Kultur in MV vorgestellt und aus den Ergebnissen auch konkrete Konsequenzen gezogen, indem wir ein Programm für mehr Barrierefreiheit in den kulturellen Einrichtungen eingeführt haben. Und wir haben auch ein kleines, aber feines Förderprogramm zu queerer Literatur für die Bibliotheken eingeführt. Das ist in dieser Zeit, in der queeres Leben angegriffen und infrage gestellt wird, ein wichtiges Zeichen. Nach der erfolgreichen Einführung der Mindesthonorare im Bereich bildende Kunst bereiten wir gerade einen Beteiligungsprozess für die Ausweitung in andere Sparten vor. Ein weiteres großes Thema ist die Nachhaltigkeit. Hierzu habe ich im September zu einem Runden Tisch eingeladen, der gezeigt hat, dass hier noch viel zu tun ist.

Und natürlich ist das Jahr 2024 ein großartiges Kulturjahr in MV gewesen, das in ganz Deutschland und darüber hinaus viel Aufmerksamkeit erfahren hat.

Welche Förderungen sind am besten angenommen worden?

In der jährlichen kulturellen Projektförderung sehen wir einen Anstieg der Anträge für neue qualitativ hochwertige und lokale Projekte, die wir aber nicht alle berücksichtigen können. Der neue Bürgerfonds Kultur hat hier eine Lücke geschlossen, und wir konnten tolle lokale Projekte fördern, die direkt in den Kommunen und den ländlichen Räumen wirken. Der Ansturm auf den Fonds hat gezeigt, dass hier großer Bedarf ist, und auch viel Engagement, das in jedem Fall eine Unterstützung verdient. Wie gesagt: Dieses Geld kommt direkt bei den Leuten vor Ort an – oft im ländlichen Raum. Das ist ein wirklich guter Weg der unkomplizierten Förderung von kulturellem Engagement.

Welche Pläne gibt es für 2025?

2025 geht zum Beispiel die Fachstelle Inklusion und Teilhabe an den Start. Das ist ein großes Vorhaben, auf das ich mich besonders freue und das auch Ausfluss der Studie ist. Des Weiteren ist geplant, die unterschiedlichen Fortbildungsprogramme aller Fachstellen gebündelt über unseren Netzwerkpartner Kulturland MV darzustellen. Damit wollen wir den Einrichtungen und Akteuren die Suche erleichtern.

Und natürlich freue ich mich auf die Wiedereröffnung des Staatlichen Museums im Herbst in Schwerin und vieles mehr.

In Parchim soll es auch um Perspektiven für die künftige Kulturlandschaft gehen. Welche Rolle spielen dabei die kulturpolitischen Leitlinien?

Die kulturpolitischen Leitlinien sind Grundlage unseres kulturpolitischen Handelns. Die Leitlinien sind damals in einem langen und intensiven Beteiligungsprozess entstanden, daher spiegeln sie auch die Wünsche und Bedürfnisse der Kunst- und Kulturszene des Landes wider. Wir sind mitten in der Umsetzung, haben schon sehr viel geschafft, aber sind noch lange nicht am Ziel.

2024 kann man wohl als das Kulturjahr schlechthin bezeichnen. Was waren bislang Ihre schönsten Momente?

Ganz klar der Moment, als ich als Vertreterin der Landesregierung im Sommer in Neu-Delhi bei der Sitzung der UNESCO die Entscheidung entgegennehmen durfte, dass das Schweriner Residenzensemble auf die Liste des Welterbes aufgenommen wird. Aber das Jahr 2024 hatte bisher unfassbar viele schöne Momente und Erfolge. Es steht unter der Überschrift zweier Jubiläen: der 250. Geburtstag unseres weltweit bekannten Romantikmalers Caspar David Friedrich und der 150. Todestag des großen Plattdeutsch-Dichters Fritz Reuter. Die zahlreichen Initiativen, Projekte und Wettbewerbe, die landauf und landab unser kulturelles Erbe gefeiert und sichtbar gemacht haben, haben mich beeindruckt und teilweise sehr berührt. Auch im Rahmen unserer diesjährigen Bundesratspräsidentschaft hatten wir viele Möglichkeiten, unsere vielfältige Kulturlandschaft einem breiten Publikum näher zu bringen.

Und worauf freuen Sie sich im nächsten Jahr?

Ich freue mich darauf, dass ich wieder viele Künstlerinitiativen, Projekte und Kulturveranstaltungen vor Ort kennenlernen und erleben darf. Das gehört jedes Jahr zu meinen absoluten Highlights.